Radikale Offenheit
Warum Kommunikation wertschätzend UND direkt sein kann
und was erfolgreiche Teams anders machen.
In der modernen Arbeitswelt stehen Führungskräfte vor einer scheinbar unlösbaren Herausforderung: Wie können sie gleichzeitig wertschätzend und direkt sein? Wie lässt sich Fürsorge mit klarer Kritik vereinbaren?
In meiner langjährigen Praxis als Coach mache ich immer wieder eine faszinierende Beobachtung: Die erfolgreichsten Teams unterscheiden sich von anderen nicht etwa durch bessere Strategien oder modernere Managementmethoden. Was sie auszeichnet, ist unter anderem eine besondere Art der Kommunikation – eine Kombination aus guter zwischenmenschlicher Verbindung und der Fähigkeit, ehrliches Feedback auszutauschen.
Die Essenz der radikalen Offenheit
Als ich zum ersten Mal mit dem Konzept der radikalen Offenheit in Berührung kam, wurde mir klar: Das von der Unternehmerin und Führungsexpertin Kim Scott entwickelte Konzept beschreibt etwas, was ich in meiner Coaching-Praxis auch bereits als entscheidenden Erfolgsfaktor identifiziert hatte.
Doch was macht radikale Offenheit so besonders?
Im Kern geht es um die Kunst, zwei scheinbar gegensätzliche Qualitäten zu vereinen: echte menschliche Zuwendung und die Bereitschaft zur direkten, ungeschminkten Kommunikation.
Es ist diese Balance, die den Unterschied macht zwischen Teams, die ihr Potenzial nur teilweise nutzen, und solchen, die über sich hinauswachsen.
Eine persönliche Erfahrung
In meiner eigenen Entwicklung als Coach durfte ich lernen, dass echte Fürsorge nicht bedeutet, unangenehme Wahrheiten zu verschweigen.
Im Gegenteil: Wahre Fürsorge zeigt sich gerade darin, den Mut aufzubringen, auch schwierige Themen anzusprechen.
Diese Erkenntnis hat meine Arbeit grundlegend verändert.
Heute weiß ich: Radikale Offenheit ist keine Technik, die man einfach anwenden kann. Sie ist eine Haltung, die wir entwickeln müssen – eine Haltung, die uns erlaubt, gleichzeitig mitfühlend und aufrichtig zu sein.
Die zwei Säulen erfolgreicher Teamführung
In der praktischen Umsetzung stützt sich radikale Offenheit auf zwei wesentliche Pfeiler:
1. Authentische Fürsorge
Dies bedeutet mehr als oberflächliche Freundlichkeit. Es geht darum, ein echtes Interesse am Menschen zu entwickeln – an seinen Zielen, Ängsten und Träumen. Und damit ist nicht gemeint das wir alle und jeden mögen müssen. Aber wir können versuchen, zumindest eine Sache an der anderen Person zu finden, mit der wir uns verbinden können. Den nur wer diese Verbindung aufbaut, schafft den Rahmen für ehrliche Kommunikation.
2. Konstruktive Direktheit
Auf dem Fundament echter Fürsorge können wir es wagen, klar und direkt zu kommunizieren. Nicht um zu verletzen, sondern um zu entwickeln. Nicht um zu kritisieren, sondern um zu wachsen.
Die vier Dimensionen der Kommunikation
Das Framework der Radikalen Offenheit unterscheidet vier Kommunikationsstile, die sich aus dem Zusammenspiel der bereits beschriebenen Dimensionen ergeben: der persönlichen Fürsorge und der direkten Herausforderung.
Radikale Offenheit: Die optimale Kombination aus hoher Fürsorge und direkter Herausforderung
Ruinöses Mitgefühl: Hohe Fürsorge, aber mangelnde Direktheit
Manipulative Unaufrichtigkeit: Weder Fürsorge noch direkte Kommunikation
Unausstehliche Aggression: Direkte Kritik ohne Fürsorge
Laut einer Studie von Gallup sind effektive Feedback-Gespräche für 69% der Mitarbeiter ausschlaggebend für ihr Engagement am Arbeitsplatz. Dennoch scheuen viele Führungskräfte davor zurück, klares Feedback zu geben.

Der Teufelskreis der Vermeidung
In meiner Praxis als Coach beobachte ich häufig folgendes Muster:
Die Teams starten enthusiastisch und offen in der sogenannten Norming-Phase. Dann entstehen erste Konflikte in einer Storming-Phase und aus Angst vor Konfrontation verfallen Teams in ruinöses Mitgefühl. Jetzt führen unausgesprochene Spannungen oft zu manipulativer Unaufrichtigkeit und die Teamkultur erodiert
Wie Amy Edmondson von der Harvard Business School in ihrer Forschung zur psychologischen Sicherheit zeigt, ist offene Kommunikation fundamental für den Teamerfolg: „In psychologisch sicheren Teams können Mitarbeiter Fehler eingestehen, Fragen stellen und Bedenken äußern, ohne negative Konsequenzen zu befürchten.“
Bevor wir uns aber der Lösung zuwenden, ist es wichtig, die typischen Kommunikationsfallen zu kennen.
Die häufigsten Stolperfallen in der Kommunikation
1. Das „Sandwich-Feedback“
Viele Führungskräfte verpacken Kritik zwischen zwei Komplimenten. Dies führt oft dazu, dass die eigentliche Botschaft verwässert wird, Mitarbeiter das Muster durchschauen und misstrauisch werden und positive Rückmeldungen an Glaubwürdigkeit verlieren
2. Die „Ja, aber“-Falle
Aussagen wie „Das haben Sie gut gemacht, aber…“ signalisieren, dass das Lob nicht ernst gemeint war. Besser ist es, Lob und Kritik klar zu trennen.
3. Die Verallgemeinerung
Formulierungen wie „Sie machen immer…“ oder „Sie sind nie…“ führen zu Abwehrreaktionen und verschließen Türen für konstruktive Gespräche.
Der Weg zur radikalen Offenheit
Um nun also radikale Offenheit zu etablieren, braucht es zwei Grundpfeiler:
Respekt als Grundhaltung
Und Respekt ist nicht verhandelbar. Er bildet das Fundament für jede Form von konstruktiver Kommunikation. Wie Kim Scott betont: „Radikale Offenheit beginnt mit der Bereitschaft, sich um andere als Menschen zu kümmern.“
Strukturierte Feedback-Routine
Feedback darf nicht dem Zufall überlassen werden. Es braucht:
- Regelmäßige Feedback-Gespräche
- Klare Kommunikationsregeln
- Aktives Nachfragen zum Verständnis
Gute Feedbackkultur ist eine der wesentlichen Kompetenzen von empowerter Teams. Hier zeigen sich die zugrundeliegenen Einstellung aller Teammitglieder und es kann ein Katalysator für gemeinsames Lernen sein. Und Lernen wiederum, ist die Voraussetzung für Agilität, Veränderung und Innovation.
Was es dafür braucht erfahren Sie hier im Blogartikel >>mehr lesen

Die goldene Regel der radikalen Offenheit
„Radikale Offenheit wird nicht an dem gemessen, was aus unserem Mund kommt. Es wird am Ohr des Zuhörers gemessen.“
Diese Erkenntnis verändert den gesamten Feedback-Prozess. Statt uns auf unsere Botschaft zu konzentrieren, müssen wir uns auf das Verständnis unseres Gegenübers fokussieren.
In der praktischen Umsetzung bedeutet das wir können uns an folgenden Beispielformulierungen für verschiedene Situationen orientieren:
Bei unangemessenem Verhalten:
„Ich beobachte, dass du gerade sehr aufgebracht bist. Was löst diese starke Reaktion aus?“
Bei passiver Aggression:
„Mir fällt auf, dass du dich zurückziehst. Was brauchst du, um deine Perspektive einzubringen?“
Bei Teamkonflikten:
„Lasst uns gemeinsam verstehen, was hier gerade passiert. Was nimmt jeder von euch wahr?
Aber natürlich sind nicht alle Mitarbeiter sofort offen für radikale Offenheit. Häufige Einwände sind:
- „Das ist zu zeitaufwändig“
- „Wir haben wichtigere Dinge zu tun“
- „Das passt nicht zu unserer Kultur“
Daher unser Tipps:
Kleine Schritte gehen und Erfolge sichtbar machen. Mit freiwilligen „Early Adopters“ beginnen und deren positive Erfahrungen nutzen.
Und vorsicht, in manchen Kulturen wird direktes Feedback als unhöflich empfunden. Daher hier bitte passende Feedback-Kanäle anbieten.
Desweiteren kann in stark hierarchischen Organisationen, offenes Feedback als Autoritätsverlust missverstanden werden. Daher immer eine klare Trennung zwischen Rolle und Person kommunizieren und Feedback als Werkzeug für gemeinsames Wachstum etablieren.
Wenn Sie weitere Unterstützung brauchen oder Fragen haben, melden Sie sich gern bei uns.
- Gartner. (2021). „Hybrid Work Study.“
- Deloitte. (2021). „2021 Global Human Capital Trends.“
- Buffer. (2021). „State of Remote Work 2021.“
- Monster. (2020). „Burnout in Remote Workers Survey.“
- RW3 CultureWizard. (2020). „Global Virtual Teams Survey Report.“
- Edmondson, A. (2018). „The Fearless Organization: Creating Psychological Safety in the Workplace for Learning, Innovation, and Growth.“ Wiley.
- Development Dimensions International. (2021). „Global Leadership Forecast 2021.“
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